»Blut«, sagt der Mann. »Die Essenz eines jeden guten Horrorfilms.«
Leute wuseln um sie herum, Kellner mit Schürzen, die Tellerstapel balancieren, Gäste. Von irgendwoher ertönt Gelächter.
Er ist ernst. Vielleicht, sagt sie sich, haben zuvor schon andere Leute seltsam auf seine Empfehlungen reagiert. Vielleicht sitzt ihr Mann deswegen so still auf seinem Stuhl, als wolle er sich unsichtbar machen. Sie lächelt flüchtig und schließt ihre Finger um die Tischkante. Sie hasst Blut.
»’Shining’«, fährt er fort, den Blick auf den Bildschirm seines Laptops gerichtet. »Der ist rundum perfekt. Nicht nur von der Handlung her, sondern auch von der Ästhetik.«
Sie nickt wieder, langsamer diesmal. »Was würden Sie… Anfängern empfehlen? Vielleicht mit nicht so viel Blut?«
»Ich weiß nicht recht.« Er legt seine Brille auf dem Tisch ab und scrollt eine Weile durch seine Watchlist. »Das ist schwierig. Da wäre die Frage… was sind so Ihre Grenzen?«
Jetzt lächelt er doch. Das Klappern von Absätzen neben ihnen wird laut. Die Kellnerin bleibt kurz stehen, wirft ihnen einen fragenden Blick zu und entfernt sich, als er lächelnd den Kopf neigt. Einen Moment lang überlegt sie, ob sie die Angestellte zurückrufen soll. Ihr Magen knurrt. Aber sie hat nicht vor, hier noch viel länger zu bleiben. Sie blickt zu ihrem Mann, der ihr die Führung in diesem Gespräch überlassen hat. Er schweigt, hört zu, verzieht keine Miene. Er sieht sie zwar an, aber sein Blick geht noch weiter, an einen Ort, an dem nur er ist. Am liebsten würde sie ihn gegen die Schulter boxen und um Hilfe anflehen.
»Ich meine«, sagt sie schnell, »ein bisschen Blut, das ist nicht schlimm, das ist nichts Besonderes. Nur nicht zu viel.«
Er lacht. »Eine kleine Schnittwunde ist in Ordnung, meinen Sie das? Aber so von der Größe her« — »Ist es zu viel, sobald es Narben gibt«, beendet sie den Satz. Ein Kollege ihres Mannes also, nur ein Geschäftsessen mit ihr als Begleitung, und nun das. Manchmal ist es ein Fluch, nicht Nein sagen zu können.
Am Tisch neben ihnen steht jemand auf, jemand anders eilt zur Garderobe. Sie will hier raus, weg von dem Pochen, das die Absätze der ganzen verschiedenen Schuhe in ihrem Kopf erzeugen. Sie erträgt noch nicht einmal mehr die rötliche Thekenbeleuchtung am anderen Ende des Raums.
»Ah«, macht er. Räuspert sich. »Wie wäre es dann mit ‚Ring’? Kein Blut, soweit ich weiß. Nur der klassische Fall einer psychischen Störung.«
Es wird ihr zu viel. Sie weiß, sie sollte diese eine Sache nicht sagen, auf gar keinen Fall, aber es will heraus, drängt gegen ihre Lippen, zwängt sich hindurch.
»Meine Tochter leidet an Depressionen.« Ihr Blick zuckt einmal, sie versucht, ruhig zu bleiben. »Lieber nicht. Bitte. Es tut mir furchtbar leid, wissen Sie, ich will nicht undankbar sein, aber…«
»Ihre Tochter? Ihr Mann hat mir davon nie etwas erzählt.«
Es reicht ihr. Sie will jetzt gehen.
Sie bekommt noch nicht einmal die Chance, den Mund zu öffnen.
»Dürfte ich Ihnen ein paar Fragen stellen, zu Ihrer Tochter? Ich möchte das nämlich selber ausprobieren, Filme machen.«
Plötzlich muss sie lachen.
»Und dazu muss man möglichst nah am Geschehen sein, wissen Sie…«
Sie schiebt den Stuhl nach hinten und reißt ihre Jacke von der Stuhllehne ihres Mannes. Endlich verstummen all die Schritte. Endlich ist der Typ still.
8 Comments
pipetti13
Einfach geniale Geschichte. Toller Spannungsbogen, Witzig. Chapeau.
Mare
Danke, wie lieb!
Zilli
Wieso heißt du eigentlich Mare? Hast du dich von einem Buch Charakter inspirieren lassen?
Mare
Ich weiß, woran du denkst, aber tatsächlich nicht 😀
Ich hab eigentlich keine Ahnung mehr, woher der kommt. Wobei…vielleicht habe ich mich doch inspirieren lassen. Ein ganz kleines bisschen. Höchstens unterbewusst.
Baum
Schönes Titelbild, finde ich viel besser als das neue
Mare
Jaaa, ich auch. Ich war mit dem alten nie wirklich zufrieden, und irgendwann dachte ich mir, das ist so hässlich, und dann hatte ich einen spontanen Fotografieranfall.
Freut mich, dass es dir gefällt.
Cellie Auger
Ich weiß gar nicht, wie oft ich diese Geschichte schon gelesen habe, aber ich finde sie jedes Mal wieder witzig.
PS: Schaust du mit mir mal Shining? Jack hat doch auch nur eine harmlose psychische Störung :D.
Mare
Also erstmal: danke😁. Zweitens: ich weiß auch nicht, wie oft du die Geschichte schon gelesen hast 😀
PS: Jaaaa, guut, ist okaaaay, aaaaaber.…… ich bin echt keine gute Horrorfilmguckerin, also erwarte eine ähnliche Reaktion wie bei Zeitschleifen xD